Achtsamkeit – bewusster leben
Liebe Leserin, Lieber Leser
Achtsamkeit ist für mich die Lebensweise, die mir am Nachhaltigsten zum bewussteren und erfüllteren Leben verhilft. Es ist eine Haltung, die mich darin unterstützt, mich ständig weiter zu entwickeln.
Ich wünsche mir, dass ich Ihnen mit diesen Zeilen kurz und überzeugend schildern kann, dass Ihnen das Üben von Achtsamkeit viel mehr Ruhe und Souveränität in Ihr Leben bringt. Gerade in diesen turbulenten Zeiten ist es das, was wir Menschen am meisten brauchen. Insbesondere während Phasen der grossen Veränderungen ist Achtsamkeit die Stütze und Kraft, die uns Annehmen lehrt. Sie kann uns zudem Zuversicht, Freude und Gelassenheit schenken.
Allzu leicht neigen wir dazu, den Veränderungen im Aussen, ob gross oder klein, mit Frust, Schönfärberei, Wut oder Ignoranz zu begegnen. Für mich ratsamer ist es zu schauen, was die Veränderungen im Aussen mit mir machen und warum ich so oder so darauf reagiere.
Der wohl bekannteste, westliche Gelehrte der Achtsamkeit beschreibt diese folgendermassen:
«Sie haben jederzeit eine Wahl – die Wahl, sich innerlich und äusserlich auf weise Art mit diesem Augenblick zu verbinden, ganz gleich, was im Aussen geschieht. Indem Sie auf diese Weise für Ihr eigenes Erleben Verantwortung übernehmen, machen Sie einen tief bedeutsamen Schritt, dem die Kraft zur Verwandlung innewohnt, einen Schritt in Richtung Heilung, echten Wohlbefindens und des Glücks – und Sie tun ihn nicht in einer besseren «Zukunft», die vielleicht niemals kommt, sondern in dem einzigen Moment, der Ihnen jemals für Ihr Leben, Atmen, Lieben und Sein gegeben ist-, nämlich in diesem Augenblick»
(Zitat aus «jeder Augenblick kann Dein Lehrer sein» von Prof. Jon Kabat-Zinn)
Wie aber übernehme ich für mein eigenes Erleben Verantwortung? Gerade wenn es besonders hektisch ist und ich ständig von irgendetwas mitgerissen werde?
Ich versuche Ihnen dieses «Verantwortung übernehmen» an einem für mich besonders erinnerungswürdigen Beispiel zu schildern. Es ist schon eine ganze Weile her. Ich war emotional ständig in grossem Kummer. In Gedanken war ich dadurch kaum je im Hier und Jetzt. Ich bin darauf mit meiner Tochter vor dem Kummer in die Ferien geflohen. Die Distanz, die Schönheit der Landschaft, die Gesellschaft, die Luft und die Wärme des Südens, liessen mich zumindest teilweise vergessen. Am letzten Ferientag wurde mir dann frühmorgens erschreckend bewusst, dass ich nun auch wieder ganz zu meinem Kummer zurückkehren musste (so habe ich das damals wahrgenommen). Dabei war es hier und jetzt schön und ich wollte ganz bestimmt nicht weg! Mir wurde aber plötzlich klar, dass ich zwar nichts an der Tatsache der Rückkehr ändern konnte, mir aber diesen kostbaren Moment mit meinem Denken vergiftete. In Gedanken malte ich mir aus, wie das Heimkommen sein und was mich da alles erwarten würde (was aber natürlich auch ganz anders hätte sein können. Es waren ja «nur» Gedanken). Und siehe da, durch dieses Bewusstwerden konnte ich mich von den Gedanken an den Kummer lösen. Dies tat ich, indem ich mich umschaute, wo ich gerade war. Ich fühlte, wie ich dasass, spürte die warme Luft und lauschte den Stimmen der anderen Menschen um mich. Ich war da, wo ich gerade war. Jetzt und hier. Der Kummer war sicher nicht einfach weg. Durch die Gegenwärtigkeit hatte dieser aber kaum noch Kraft. Der Tag, der in Panik um den Kummer begonnen hatte, wurde zu einem besonders schönen und reichen Tag!
Mich ins Hier und Jetzt einzulassen, haben mich (leider) besonders herausfordernde Zeiten gelehrt. Das mag zuerst absurd tönen, ergibt aber natürlich sehr viel Sinn. Wenn es wirklich eng wird, wenn wir keinen Ausweg mehr aus einer scheinbar unmöglichen Situation, also keinen Weg mehr im Aussen sehen, dann führt dieser nur noch ins Innere.
Anstatt zu versuchen, das Unangenehme oder sogar Schreckliche zu verdrängen, hilft das Annehmen. Im Jetzt stehen zu bleiben. Die Nicht-Annahme, also z.B. die Wut, die ich wegdrücke, weil diese jetzt gerade nicht passt, lässt diese nicht einfach verschwinden. Meist kommt sie dann zu mir zurück, wenn es noch viel unpassender ist. Sprich, zu einem Zeitpunkt, wo ich selbst über die Heftigkeit des Ausbruches erschrecke oder ich mich dann allenfalls im Nachhinein schäme, weil ich Dinge gesagt oder getan, die ich so nicht gemeint habe.
Achtsamkeit lehrt mich, inne zu halten. Die Wut innendrin zu spüren. Sie werden sagen, die spüre ich ja sowieso. Genau, aber jetzt wird’s herausfordernd! Die Wut annehmen heisst, diese nicht weiter mit meinen Gedanken oder Reaktionen mit Worten oder Gefühlen zu nähren. Sondern inne zu halten, indem ich mich auf das bewusste Ein- und Ausatmen konzentriere, oder spüre, wo sich die Wut im Körper zeigt. Oder ganz einfach fühle, wie ich dastehe oder sitze. Dadurch kann sich schon nach kurzer Zeit eine Verringerung der Wut oder eines sonst störenden Gefühls einstellen.
Der Frage nachzugehen, warum mich etwas so wütend/eifersüchtig/neidisch/ängstlich etc. gemacht hat, ist für mich selbst viel nachhaltiger, als immer wieder heftig gestikulierend und laut auf die Verletzung/den Angriff zu reagieren. Natürlich ist das Nachspüren meist nicht gerade dann möglich. Was aber das Ankommen mit dem Atem im Jetzt mit dem Gefühl eben «macht» ist, dass ich nach kurzer Zeit schon viel bewusster und möglicherweise viel gelassener reagieren kann.
Kennen Sie die Erfahrung, wenn Sie verletzt worden sind und aus diesem Gefühl heraus andere dann auch verletzen? Das sich aus diesem «Zurückgeben» besser, oder überlegenere Fühlen, hält nicht lange an. Meist folgt diesem Austeilen der grosse Katzenjammer. Wie viel besser würde es Ihnen dann wohl gehen, wenn sie die Verletztheit annehmen! Dies im Wissen darum, oder besser noch mit der Erfahrung, dass sich dieses schlechte Gefühl schon bald verringern wird?
Eines ist gewiss, meine Reaktion auf das, was im Aussen geschieht, ist meine Verantwortung. Etwas, was mich völlig durcheinanderbringt, lässt einen anderen total kalt. Also zu erkennen, warum ich in bestimmten Situationen allenfalls wiederholt, besonders heftig reagiere, kann mich ganz schön viel über mich lehren. Es wird mir bewusst. Und wenn mir etwas bewusst ist, kann ich Verantwortung übernehmen resp. etwas hoffentlich Heilsames dafür tun.
Wir tendieren auch dazu, das besonders Schöne und Angenehme festhalten zu wollen. Statt sich dafür bewusst auf diesen schönen Moment einzulassen. Nicht gleich in die Zukunft zu denken und eben, wie oben geschildert, sich z.B. schon mit der Abreise zu beschäftigen. Es braucht viel weniger Energie und ist wohltuender, den Augenblick bewusst so sein zu lassen und einfach zu geniessen! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dadurch sogar die Zeit nicht schneller, sondern gefühlt langsamer vergeht. Etwas Besseres kann einem doch gerade für die schönen Dinge kaum passieren.
Achtsamkeit zu üben kann mitunter sehr anstrengend sein. Ich empfehle Ihnen trotzdem, immer weiter zu üben. Manchmal gelingt es ganz gut, manchmal eben weniger oder dann wieder gar nicht. Es gelingt mit dem Üben aber sicher immer öfter.
Ein Wort zum Schluss:
Achtsamkeit macht mich nicht zu einer Ja-Sagerin, oder dass ich einfach alles von anderen hinnehme. Im Gegenteil. Durch das Üben von Achtsamkeit lerne ich mich selber viel besser kennen. Ich kenne meine Werte und kann dadurch sehr viel überzeugender meinen Standpunkt darlegen. Ich wirke gelassener und souveräner, was andere viel eher dazu bewegt, mir wirklich zuzuhören. Umgekehrt lehrt mich Achtsamkeit auch, andere Meinungen respektvoll und empathisch anzunehmen. Achtsamkeit bringt Frieden. Nicht nur für sich selbst, sondern auch in Beziehungen mit anderen.
Achten Sie gut auf sich!
Herzlich, Regula Müller
Von den vielen Büchern, die es unterdessen zur Achtsamkeit gibt, kann ich die beiden folgenden Titel empfehlen:
«Achtsamkeit für Anfänger» von Prof. Jon Kabat-Zinn und
«Versöhnung mit dem inneren Kind» (von der heilenden Kraft der Achtsamkeit) von Thich Nhat Hanh.