Verwicklungen ent-wickeln oder wie ich meinem perfektionistischen Denken auf die Schliche kam
Hast du schon mal versucht, bei einem Knäuel Wolle oder auch einer verwickelten Schnur, einfach am losen Ende zu ziehen? Dann ging es Dir wahrscheinlich wie mir. Je mehr ich einfach zog, umso mehr Knoten entstanden.
Bleiben wir noch ein bisschen länger in diesem Bild. Nach dem Lösen der ersten Knoten ging es plötzlich ganz leicht und ich war froh, dass es vorwärts ging. Nur um kurz darauf festzustellen, dass der Knäuel schon wieder völlig verwickelt war. Aus lauter Frust und Ungeduld habe ich wieder am Faden gezerrt, obwohl ich eigentlich wusste, dass das nichts bringt. Ich wollte aber endlich fertig sein und mit dem Stricken anfangen. Da ich ja unbedingt stricken wollte, wusste ich natürlich aber auch, dass es keinen anderen Weg gab, als den Knäuel zu entwickeln. Ich ging also nochmals ruhiger hinter den Knoten vor mir. Ich schaute mir genauer an, wo der Faden bei diesem Knoten durchging. Ich zog nicht einfach, sondern löste geduldig den Faden aus dem Knoten. Und siehe da, es ging wieder weiter und irgendwann war der Knäuel schön entwickelt, resp. aufgewickelt und ich konnte endlich anfangen zu stricken.
Du ahnst es vielleicht schon, für was diese Metapher steht. Natürlich für nichts Geringeres als meine oder eben auch deine eigene Entwicklung. Wir alle haben unsere Verwicklungen und es geht auch nicht darum, all diese Verwicklungen jetzt und überhaupt zu lösen. Wenn du aber merkst, dass du über eine längere Zeit sehr müde und unzufrieden bist, du dich immer mehr in Umstände verstrickst, mit denen du dich nicht wohl fühlst oder dir immer wieder Dinge im Aussen widerfahren, die du nicht magst und für die du anscheinend nichts getan hast, dann lohnt es sich, ein bisschen genauer auf deine Verwicklungen zu schauen. Dann lohnt es sich, Dich um Deine Selbst-Entwicklung zu kümmern.
Ich kann für mich selbst die Entwicklungsschritte, die Phasen im Wollknäuel sehr gut wieder erkennen. Manchmal geht es schnell voran und dann wieder brauchen gewisse Aspekte einfach Zeit. Wenn ich aber unbedingt will, dass es jetzt vorwärts geht, also am Faden ziehe, dann geht es unter Umständen nur langsamer und verwickelt sich noch mehr. Wahrscheinlich, weil ich etwas will, wofür ich womöglich noch nicht bereit bin. Ich habe zwar verstanden, dass ich etwas ändern muss, aber ich habe es noch nicht wirklich begriffen. Ich kann es noch nicht «greifen», also nicht fühlen.
Wir sind in unserer heutigen Gesellschaft noch zu sehr vom Kopf gesteuert. Meinen, wir müssten alles und jetzt verstehen, wollen aber möglichst nicht fühlen. Sich die Verwicklungen anschauen, sehen wo der Faden lang geht, bedeutet, dass du dich selbst besser kennenlernst. Warum hast du diese Verwicklungen? Was für Gefühle sind da in Dir? Wo hast Du diese Gefühle verdrängt? Die einfache Antwort auf das Verdrängen, ist nämlich der Schmerz (welcher Art auch immer). Der Schmerz, den du nicht fühlen willst. Du willst lieber das Konzept oder die Mechanismen verstehen, aber nicht fühlen. Vieles versteckst du, oder vergräbst du in dir (das sind die Knoten), weil es zu schmerzvoll wäre, zu fühlen. So lange du aber nicht fühlen willst, kann sich alleine durch den Verstand nichts ändern. Du kannst noch so viele Bücher lesen, Theorien verstehen und Konzepte kennenlernen. Das ändert für Dich nur wenig, wenn überhaupt, so lange Du nicht begreifst.
Die Wut, die du nicht zeigst, weil «man» ja nicht emotional sein darf. Oder eines der schlimmsten Gefühle für uns Menschen, die Scham, die du nicht zulässt und allenfalls mit Strenge gegenüber anderen übergehst. Einfach «am Faden zu ziehen», macht es aber leider nicht besser. Die unterdrückten Gefühle, der Schmerz bleibt in Dir, nur eben tief vergraben. Meist machen sich diese vergrabenen Gefühle dann womöglich in unangemessenen Momenten oder in nicht nachvollziehbarer Weise Luft. Du kennst das sicher auch, dass du dich, nachdem du dich vielleicht x-mal übergangen gefühlt hast, dann in einer eher harmlosen Situation plötzlich heftig wehrst. Oder aber es schleicht sich langsam Unzufriedenheit, wenn nicht gar eine depressive Verstimmung bis hin zu Krankheit ein.
Sich deine Verwicklungen anzuschauen, ist eine Lebensaufgabe. Das meine ich nicht im Sinne von Perfektion. Ich habe nämlich bei mir festgestellt, dass die Messlatte sehr hoch war. Nein, nicht sehr hoch, sondern unerreichbar hoch. Perfekt eben. Nur, wer von uns ist schon perfekt und ist das überhaupt erstrebenswert? Nüchtern betrachtet ist das doch langweilig. Doch, ich bin sicher, dass viele von uns dieses perfektionistische Denken verinnerlicht haben. So wie ich das eben auch hatte. Das heisst, ich konnte tun und lassen, was und wie ich wollte, es war noch immer nicht genug. Ob als Geschäftsfrau, als alleinerziehende Mutter, als Partnerin oder als Tochter. Ich musste mich noch mehr anstrengen. Es war nie gut genug. Ich war nie gut genug.
Also, dich zu entwickeln ist eine Lebensaufgabe, aber nicht im Sinne von Perfektion. Es geht darum, Dich selbst zu entdecken. Mit allen Ecken und Kanten. Zu diesem Knäuel ja zu sagen und jeden Knoten liebevoll und mit Achtung vor Dir aufzulösen. Wenn dann dieser eine Knäuel schön aufgewickelt ist, dann gibt es weitere Knäuel. Neue Lebensumstände. Begegnungen mit Menschen und Situationen, die dich wieder fordern. Es bleibt ein lebenslanger Prozess.
Was aber so hilfreich für dich ist, wenn du die Knäuel in den unterschiedlichen Verwicklungen und Farben annimmst, ist der Umstand, dass du dich immer besser fühlst und besser zurecht kommst. Dass du innerlich immer friedlicher wirst, weil du vor allem nicht mehr gegen dich selbst ankämpfen musst. Du musst nicht mehr am Faden ziehen, um bei der Metapher zu bleiben. Zu verstehen und dann zu begreifen, dass du zu dir selbst Ja sagen kannst, ist der Schlüssel, dass du deinen Verwicklungen, deinen Herausforderungen, oder deinen Schattenseiten, kampflos(er) begegnen kannst. Dadurch wird es leichter. Nicht nur mit dir selbst, sondern auch mit anderen.
Erfolgreiche Ent-wicklung wünscht Dir
Regula Müller
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